Zukunft menschlich gestalten – Mehr als ein Label?

3. Mai 2017|

Gemeinsame Stellungnahme

zur

aktuellen Position der Universität Siegen in Bezug auf Barrierefreiheit und die Partizipation der Studierenden an inneruniversitären Entscheidungsprozessen,

im Auftrag des

44. Studierendenparlaments der Universität Siegen (StuPa),

unterstützt durch den Allgemeinen Studierendenauschuss der Universität Siegen (AStA), der Beauftragten für Studierende mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen und der hochschulpolitischen Listen: Fak4StuPa, grün alternatives Wahlbündnis, Gesamt Linke Liste, Junge Union Siegen, Juso Hochschulgruppe Siegen.


Die Universität Siegen hat mit der Verwendung des Slogans „Zukunft menschlich gestalten“ deutlich und öffentlichkeitswirksam den Maßstab fixiert, an dem sie sich selbst und ihre Arbeit misst und bemessen sehen will. Die gemeinsam Stellung nehmenden Personen und Organe der Verfassten Studierendenschaft (VS) sehen diesen Anspruch insbesondere in Bezug auf die Aspekte Barrierefreiheit und die Partizipationsmöglichkeiten der Studierenden an universitätsinternen Entscheidungsprozessen als bislang weitestgehend unerfüllt an. Die Notwendigkeit eines Überdenkens der bisherigen Positionierung durch die Universität Siegen, ergibt sich aus zahlreichen Missständen, die unverkennbar belegen, dass weder dem eigenen Leitmotiv, noch den berechtigten und begründeten Ansprüchen und Erwartungen der Studierenden durch die Universität Siegen genügt wurde und wird.


I. Barrierefreiheit

Für uns bedeutet Barrierefreiheit im Bezug auf den universitären Kontext, dass der Wirkungs- und Lebensraum Universität keinerlei Hindernisse aufweist und so von allen Menschen ohne Erschwernisse oder Hilfe Anderer genutzt werden kann. Barrierefreiheit ist demnach nicht durch z.B. das Installieren von Treppenliften, welche durch Mitarbeiter*innen der Universität bedient werden müssen zu erreichen. Barrierefreiheit ist auch dann nicht gegeben, wenn Seminare auf besonderen Wunsch von Menschen mit Behinderung oder chronischen Erkrankungen in das Erdgeschoss des neuen Seminarzentrums verlegt werden könnten. Barrierefreiheit fängt in den Köpfen von Menschen an. Nicht derjenigen, die gezwungen werden, sie tagtäglich zu überwinden, sondern in den Köpfen derjenigen, die Barrieren entweder errichten, sie als gegeben hinnehmen oder mitdenken ohne sie beseitigen zu wollen, sei es  bewusst oder unbewusst.

Dass Barrierefreiheit besser funktionieren kann als in Siegen, haben bereits verschiedene Universitäten im Land bewiesen. Ob nun ein Leitsystem für Menschen mit Sehbehinderung, der Abbau von Sprachbarrieren oder das Vermeiden von Lichtinseln  – all das und noch viel mehr müsste Standard werden, der erkennen ließe, dass die Universität Siegen die eigenen und öffentlichkeitswirksam erklärten Ziele und  Visionen ernst nimmt.

Sowohl das Hochschulzukunftsgesetz (HZG) § 62b als auch die Grundordnung der Universität Siegen (GO) §23 regeln eindeutig die Verpflichtung der Universität Siegen eine Person zur Vertretung von Studierenden mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen zu bestellen. Bis November letzten Jahres wurde diese Position durch einen Mitarbeiter der Universität – am Ende auf Basis einer geringfügigen Beschäftigung – besetzt. Bis heute gelang es der Universität Siegen aus unserer Perspektive nicht, die Arbeit der durch die studierenden Vertreter*innen im Senat gewählte beauftragte Person, langfristig und nachhaltig zu sichern, da bis zum heutigen Tag unseres Wissens nach kein tragfähiges Finanzierungskonzept das sowohl der Bedeutung der Aufgabe, als auch der Stelleninhaberin gerecht würde, vorliegt. Die Universität vernachlässigt hierdurch grob die aus den genannten Gesetzen und Verordnungen abzuleitenden Verpflichtungen. Eine finanzielle Notsituation die dieses Verhalten zwar in keinem Fall rechtfertigen, aber doch erklären könnte, liegt unserer Erkenntnis nach nicht vor, da die Zurverfügungstellung der Gelder zur Finanzierung dieser Stelle in der Vergangenheit kein Problem darstellte.
Anschaulich wird die gesamte Problematik auch durch eine (unvollständige) Auflistung verschiedener Missstände am Adolf – Reichwein – Campus / AR HB

(1) Nicht auf allen Etagen des neuen Seminarzentrums der Universität Siegen stehen barrierefreie Toiletten zur Verfügung.

(2) Das Obergeschoss des AR HB ist für in ihrer Mobilität eingeschränkte Menschen ausschließlich über eine steile Rampe oder über einen von Mitarbeiter*inne*n zu bedienenden Treppenlift zu erreichen.

(3) Die Untergeschosse des AR HB sind für in ihrer Mobilität eingeschränkte Menschen ausschließlich durch einen enormen Umweg zu erreichen, bei dem das Gebäude verlassen werden muss. Dabei ist zu beachten, dass der Weg, der um das Gebäude herumführt, eine negative Steigung beinhaltet. Auf dem Rückweg in das Erdgeschoss müssen demnach enorme Kräfte aufgebracht werden, um den Berg dann wieder hinaufzugelangen. Ungünstige Witterungsverhältnisse verunmöglichen eine Überwindung des Weges in beide Richtungen.

(4) Eine Verlegung einer in einem erschwert zu erreichenden Gebäudeteil stattfindenden Veranstaltung kann durch Absprache mit der universitären Raumverwaltung erfolgen. Dies stellt bereits eine enorme Barriere dar und schränkt zudem die Möglichkeit der Studierenden ein, auch kurzfristig umzuplanen und andere Veranstaltungen zu besuchen. Ein selbstbestimmtes Studium sieht anders aus.

(5) Die Toiletten an der Freifläche vor dem Seminarzentrum sind durch Schwellen für in ihrer Mobilität eingeschränkte Menschen teilweise nur unter Hilfe Anderer nutzbar.

(6) Die Zugangstüren zum AR HB sind nicht automatisiert und erschweren so den Zugang für in ihrer Mobilität eingeschränkte Personen.

II. Partizipation der Studierenden an inneruniversitären Entscheidungsprozessen

Universität als Ort an dem sich Lehre und Forschung begegnen und wechselseitig befördern, kann nur unter Berücksichtigung aller Statusgruppen dieses Lebens- und Wirkungsraumes gelingen. Gerade der Studierendenschaft in ihrer Heterogenität kommt auch aufgrund ihrer zahlenmäßigen Größe dabei eine besondere Bedeutung zu.

Sowohl am Beispiel der Interimsplanung, als auch der Planung der Gestaltung, der Raumauf- und Verteilung der sanierten Gebäude am Campus AR wird deutlich, dass die Studierendenschaft in die Entscheidungsprozesse entweder gar nicht, sehr verspätet oder nur nach mehrmaliger Reklamation einbezogen wurde. Bei der Vergabe der Räume des neuen Seminarzentrums AR HB wurden Räume für das Studierendenparlament nicht mitgedacht, erst massiver Widerstand aus den Reihen der gesamten Studierendenschaft führte zu einer Änderung.

Von Planung der zukünftigen Situation in den sanierten Gebäuden wurde die Studierendenschaft beinahe vollständig ausgeschlossen. Die Berufung des AStA Vorsitzenden in den Gestaltungsbeirat, zur fünften Sitzung dieses Gremiums wird von uns als Alibibeteiligung gewertet. Die Arbeitsweise und Beschlussfassung dieses Gremiums ist darüber hinaus für die Studierendenschaft intransparent.

Zu einer gemeinsamen Sitzung mit uniinternen Beteiligten, dem BLB und dem Planungsbüro ZÜBLIN auf dem die universitäre Öffentlichkeit über den Planungsstand informiert wurde, wurde der AStA erst nach mehrmaliger Nachfrage zugelassen. Einladungen zu nachfolgenden Sitzungen erhielt weder der AStA, noch ein anderes Organ der VS. Partizipation sieht anders aus!

Der Wirkungs- und  Lebensraum Universität Siegen soll eine visionäre Umgestaltung erhalten, die ihn für die Herausforderungen der Zukunft fit machen soll und für Jahrzehnte prägen wird. Warum ausgerechnet bei solch richtungsweisenden Entscheidungen die Studierendenschaft vollständig ausgeklammert wird, ist für uns in keiner Weise nachzuvollziehen. Diese Vorgehensweise reiht sich jedoch sehr passend in die Kommunikations-, Informations- und Entscheidungspolitik der Universitätsverwaltung ein.

III. Fazit

Aus den aufgeführten Mängeln lässt sich ableiten, dass ein Strategiewechsel seitens der Universitätsleitung unbedingt notwendig ist. Zukunft menschlich zu gestalten, kann nur gemeinsam und auf Augenhöhe gelingen. Bisherigen Dialogangeboten seitens der Studierendenschaft wurde teilweise ausgewichen oder die eingebrachten Bedenken als unbedeutend abgewiegelt.

Wir fordern, dass die Universität Siegen aktiv die Partizipation der Studierenden an universitätsinternen Entscheidungsprozessen stärkt und in einen offenen und transparenten Dialog mit allen Organen der Verfassten Studierendenschaft tritt.

Die Missstände in Bezug auf Barrierefreiheit nicht nur im neuen Seminarzentrum AR HB müssen unverzüglich behoben werden. Wir fordern, dass die Universität Siegen sich nicht mit dem Erreichen der minimalen gesetzlichen Vorgaben zufriedengibt. Der Anspruch der Universität Siegen muss es sein, Menschen mit Beeinträchtigungen egal welcher Art, eine uneingeschränkte Teilhabe am Wirkungs- und Lebensraum Universität zu ermöglichen. Hierzu sehen wir die Universität nicht nur aus dem deklarierten Selbstverständnis verpflichtet. Die Tatsache, dass die Universität Siegen vor wenigen Tagen die Charta der Vielfalt unterzeichnete, erhöht aus unserer Perspektive den Druck, den Worten nun auch endlich Taten folgen zu lassen.

Die gemeinsam Stellung nehmenden Unterzeichner*innen erneuern mit dieser Stellungnahme das umfangreiche Kooperationsangebot der vergangenen Monate und Jahre.

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